Die wertvollsten jemals versteigerten Zeichnungen der Alten Meister: Wiederentdeckter Michelangelo in Paris bei Christie's für 23.162.000 € verkauft

Ein Überblick über den Markt der Zeichnungen von den Alten Meistern

Auf dem Gebiet der Zeichnungen von Hand der Alten Meistern wurden in den letzten Jahrzehnten mehrere Millionen Euro umgesetzt. In diesem Artikel erkläre ich einige der bezeichnendsten Preise für Zeichnungen, die bei Auktionen verkauft wurden, und erläutere die erheblichen Preisunterschiede, die es zwischen Werken ein- und desselben Künstlers gibt.

Am 18. Mai 2022 wurde im Bereich der Zeichnungen Alter Meister Geschichte geschrieben! Denn Michelangelos Erste Aktzeichnung, eine Wiederentdeckung, wurde für einen Zuschlag von 20.000.000 €, mit Aufgeld für 23.162.000 €, verkauft.

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Dies ist ein unglaublicher Preis für eine Zeichnung, obwohl in den ersten Pressemitteilungen sogar von einem geschätzten Verkaufspreis in der Größenordnung von 30.000.000 € die Rede war. Warum war der erzielte Preis aber letztlich niedriger? Angesichts der Tatsache, dass die Zeichnung neu auf dem Markt war und bis zu ihrer öffentlichen Enthüllung vor einigen Monaten den Gelehrten unbekannt war, ist dies dennoch ein beachtlicher Preis. Die Zeichnung wurde von dem wichtigsten Michelangelo-Forscher, Dr. Paul Joannides, emeritierter Professor für Kunstgeschichte an der Universität Cambridge und Autor des Gesamtkatalogs der Zeichnungen von Michelangelo und seiner Schule im Ashmolean Museum in Oxford und im Musée du Louvre, in ihrer Echtheit bestätigt.  Im Februar 2019 wurde sie erstmals von Furio Rinaldi, damals Spezialist für Zeichnungen alter Meister bei Christie's und heute Kurator für Zeichnungen und Drucke im Fine Arts Museum of San Francisco, erkannt.

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Werden häufig Zeichnungen der Alten Meister entdeckt?

Es mag ungewöhnlich erscheinen, dass eine Zeichnung eines der berühmtesten Künstler der Renaissance auf den Markt kommt, nachdem sie über 500 Jahre lang unerkannt geblieben war. Wie ist das möglich? Es handelt sich in der Tat um eine einzigartige Entdeckung, die ich in den letzten 30 Jahren während meiner Tätigkeit als Spezialist auf dem Markt jedoch bereits mehrfach erleben durfte. In jüngster Zeit wurde in Frankreich eine weitere bedeutende Entdeckung gemacht, nämlich eine Zeichnung eines anderen großen Meisters der Renaissance: Leonardo da Vinci (siehe Abbildung unten). Als diese Zeichnung 2017 auf den Markt kam, lag der Richtpreis bei 15.000.000 € und wurde wie die Michelangelo-Zeichnung mit einem Exportverbot von 30 Monaten belegt. Diese Zeichnung ist nun Gegenstand eines vielbeachteten Gerichtsverfahrens in Frankreich. Die Zeichnung kam kurz nach dem Verkauf des Gemäldes Salvator Mundi von Leonardo da Vinci auf den Markt, das im November 2017 bei Christie's New York für einen Weltrekordpreis von 450 Millionen Dollar (ungefähr 429 Millionen Euro) verkauft wurde.

Andere bedeutende Verkäufe von Zeichnungen Alter Meister

Im Dezember 2012 wurde bei Sotheby's in London eine Zeichnung von Raffael, Der Kopf eines Apostels, für 29,7 Millionen Pfund (ungefähr 35 Millionen Euro) verkauft (siehe Bild unten). Die Zeichnung stammte aus der Sammlung des Herzogs von Devonshire, wo sie sich bereits seit 1720 befand.

Wie werden die Preise für diese Werke festgesetzt?

Ich bin der Ansicht, dass Werke dieser Qualität ein "Star"-Element haben müssen, das zur Festsetzung ihres Marktwert beiträgt. Dieser Wert setzt sich aus 4 Faktoren zusammen. Erstens: Kann man seine Provenienz nachverfolgen? Zweitens: Stammt das Werk von einem allgemein bekannten Künstler? Drittens: Wurde das Objekt von den Fachleuten, auf die der Markt hört, anerkannt? Viertens: Ist das Werk visuell beeindruckend?

Unter diesen Aspekten wurde eine Zeichnung von Michelangelo mit dem Titel Studie des linken Oberschenkels und des Knies, mit einer separaten Studie des rechten Knies am 9. Juli 2003 bei Sotheby's in London für 296.800 Pfund (ungefähr 350.000 Euro) einschließlich Aufgeld verkauft. Meiner Meinung nach wies dieses Werk 3 der 4 Faktoren auf, die für einen hohen „Star“-Qualitätswert erforderlich sind. Erstens hatte diese Zeichnung eine großartige Provenienz, sie stammte aus der Sammlung von Sir Joshua Reynolds. Reynolds war natürlich in erster Linie als großer Porträtmaler bekannt, aber er besaß auch eine sehr wichtige und bedeutende Sammlung von Zeichnungen der Alten Meister. Zweitens stammt diese Zeichnung von einem bekannten Künstler, nämlich Michelangelo. Drittens wird sie von den wichtigsten Fachleuten anerkannt, doch fehlt ihr der letzte entscheidende Faktor. Das Kunstwerk war visuell nicht sonderlich beeindruckend, es war nur eine Studie eines Knies. Eigentlich von zwei Knien.

Die Raffael-Zeichnung, die 2012 für 29,7 Millionen Pfund verkauft wurde, hatte eine erstaunliche Provenienz: Sie stammte aus der Sammlung des Duke of Devonshire. Trotz zweier bedeutender Versteigerungen von Werken aus dieser Sammlung, die in den Jahren 1984 und 1987 bei Christie's stattfanden, besitzt der Duke of Devonshire immer noch rund 1.800 Zeichnungen von den Alten Meistern und damit Werke der wichtigsten Künstler des 16., 17. und 18.  Jahrhunderts. Diese Sammlung gilt als die beste Provenienz für Zeichnungen der Alten Meister und als eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt, die sich im Besitz einer Privatperson befindet. Die bei Sotheby's verkaufte Zeichnung von Raffael wird von den wichtigsten Gelehrten anerkannt, sie stammt von einem allgemein bekannten Künstler, und schließlich handelt es sich um eine erstaunliche Studie für eines der wichtigsten Meisterwerke Raffaels.

Der Verkauf einer Michelangelo-Zeichnung

Aber kommen wir zurück zu der Michelangelo-Zeichnung, die bei Christie's in Paris versteigert wurde. Dabei gab es verschiedene Nuancen bei den vier genannten Faktoren, die letztlich dazu führten, dass die Zeichnung nicht für die geschätzten 30 Millionen Euro verkauft wurde. Erstens stammte die Michelangelo-Zeichnung aus der bekannten Turiner Sammlung des Commendatore Modesto Genovosio aus dem 18. Jahrhundert. Diese Sammlung ist Spezialisten auf dem Gebiet der Zeichnungen wohlbekannt, und die Zeichnung trägt unten sein Sammlerzeichen und wurde manchmal fälschlicherweise als Gelozzi oder Gelosi bezeichnet. Zweitens stammte die Zeichnung von einem allgemein bekannten Künstler, dessen Namen man nicht nur als den des Künstlers kennt, sondern auch als den einer "Ninja-Schildkröte", die wiederum bei den Nicht-Kunstkäufern sehr bekannt ist. Drittens wurde die Zeichnung von den wichtigsten Gelehrten anerkannt. Aber der vierte Faktor, die visuelle Bedeutung des Objekts, verhinderte meines Erachtens, dass die Zeichnung für den geschätzten Auktionswert verkauft wurde. Um die Sache ein wenig zu vertiefen, werde ich die Zeichnung nun näher erläutern. Bei dieser Zeichnung von Michelangelo handelt es sich im Wesentlichen um eine Kopie nach Masaccio, die um zwei Figuren erweitert wurde, bei denen es sich nicht um Kopien handelt (siehe die Abbildungen unten). Die Zeichnung ist groß und die Figuren sind in ihrer voller Länge dargestellt. Tatsächlich war es bei einer Besichtigung im Pariser Verkaufssaal von Christie's eine sehr bewegende Erfahrung, sie zu erleben. Das ist eine besondere Erfahrung, die man gerade vor großen Kunstwerken machen kann. Aber der Markt war trotzdem nicht verrückt nach dieser Zeichnung. 

Die Rolle der Wissenschaftler bei der Bestimmung des Marktwerts

Es ist überaus wichtig, dass Werke von dieser Bedeutung einwandfrei von den ausgewiesenen Marktexperten anerkannt werden. Im Fall der Michelangelo-Zeichnung war dies Paul Joannides, und im Fall des Leonardo da Vinci-Werks war es Dr. Carmen C. Bambach, Kuratorin für italienische und spanische Zeichnungen am Metropolitan Museum of Art, New York, eine der führenden Leonardo-Forscherinnen. Dies gilt insbesondere für Zeichnungen, die neu auf den Markt gekommen sind und bei denen es sich um Wiederentdeckungen handelt.

In Fällen wie der Raffael-Zeichnung, der teuersten jemals verkauften Zeichnung aus der Hand eines Alten Meisters, war dieses Meisterwerk auch eine Vorarbeit für Raffaels bedeutendes Gemälde Die Transfiguration (Die Verklärung) in der Peterskirche.

Crispian Riley-Smith arbeitet bei Crispian Riley-Smith Fine Arts Ltd, einem Unternehmen, das sich auf Kunstbewertungen und Beratung beim Kauf und Verkauf von Kunst spezialisiert hat. (www.riley-smith.com/crispian)

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