Der Begriff 'ozeanische Kunst' bezieht sich auf die Kunstwerke der Ureinwohner der pazifischen Inseln und Australiens, einschließlich der Regionen Mikronesien, Melanesien und Polynesien.
Die Ureinwohner dieser Gebiete siedelten sich während der ersten Welle der Völkerwanderung an diesen Orten an. Ihre Kunstwerke sind daher repräsentativ für eine geheimnisvolle frühe Periode in der Geschichte der Menschheit, über die wir nur wenig wissen. Diese Kunstwerke gestatten uns einen seltenen Einblick in prähistorische Kulturen, von denen es sonst kaum noch weitere Zeugnisse gibt. Es verwundert daher auch nicht, dass heutzutage Kunstkenner und Anthropologen gleichermaßen bereit sind, den Wert der ozeanischen Kunst nicht nur als kulturell bedeutsame Symbole für das menschliche Schöpfungsbedürfnis anzuerkennen, sondern auch als ästhetisch vollendete Kunstwerke an sich.
Die ersten Menschen, die die Gebiete Ozeaniens besiedelten, kamen zu zwei verschiedenen Zeiten aus Südostasien. Vor 40.000 bis 60.000 Jahren kam zunächst ein australisch-melanesisches Volk vor nach Neuguinea und Australien. Sie wurden zu den Vorfahren der australischen Ureinwohner und Melanesier die sich dann bereits vor 38.000 Jahren bis zu den Salomonen ausbreiteten. Die zweite Gruppe von Menschen, die in diese Regionen einwanderte, war dann eine Gruppe südostasiatischer Völker, die sogenannten Austronesier, die 30.000 Jahre später auftauchten und selbst die entlegensten Pazifikinseln bevölkerten. Um 1500 v. Chr. breiteten sich die Mitglieder der austronesischen Lapita-Kultur über noch mehr Inseln aus.
In dieser Zeit, etwa 1500 v. Chr., entstanden in Neuguinea erste bekannte Kunstwerke, darunter auch frühe Bildhauerarbeiten. Im ersten Jahrhundert nach Christus war der Handel zwischen den Kulturen Ozeaniens und dem asiatischen Festland bereits seit geraumer Zeit in vollem Gange. Es gibt sogar Anzeichen für Berührungspunkte mit der Dongson-Kultur in Vietnam, die letztlich großen Einfluss auf die Kunstwerke und die visuelle Kultur der ozeanischen Völker haben sollte.
Im 16. Jahrhundert erreichten die Europäer zum ersten Mal diese fernen Regionen. Bis dahin aber nutzten die ozeanischen Kulturen verschiedene Formen neolithischer Technologien, darunter die Verwendung einer Steinklinge, die als eine Art Axt geführt wurde. Manchmal wurde auch die Tridacna-Muschel als Material verwendet, wenn die Steinressourcen knapp waren. Obsidian, Bambus und Muschelschalen wurden ebenfalls zu Klingen für Waffen oder Werkzeuge verarbeitet. Aus Tierknochen machte man Nadeln, Ahle und Hohlmeißel – alles Werkzeuge für die Holzbearbeitung, die in ganz Ozeanien die wichtigste Form der Handwerkskunst darstellte. Außerdem wurde Ton zur Herstellung von Skulpturen, Instrumenten und Töpferwaren verwendet. All diese verschiedenen Materialien und die Art und Weise, wie sie bearbeitet und genutzt wurden, hatten Einfluss auf die Kunst der Region. Die ozeanische Kunst wurde nämlich größtenteils nicht im Sinne des westlichen Konzepts von Kunst um ihrer Ästhetik willen betrachtet, sondern als funktionale Werkzeuge und Artefakte gesehen, die für zeremonielle oder rituelle Zwecke gedacht waren.
„Paro, der größte der Moai, misst fast 10 Meter und wiegt 82 Tonnen.“
Eines der international bekanntesten Kunstwerke sind die Moai der Osterinseln in Polynesien. Es wird angenommen, dass diese monolithischen Schnitzereien menschlicher Figuren vom Volk der Rapa Nui zwischen 1250 und 1500 geschaffen wurden, um vergöttlichte Ahnenfiguren zu personifizieren. Paro, der größte der Moai, misst fast 10 Meter und wiegt 82 Tonnen. Einst gab es über 900 dieser Statuen, die 1722, als die Europäer ankamen, immer noch über den Ländereien ihrer jeweiligen Clans thronten. Doch leider waren bis zum frühen 19. Jahrhundert schon viele von ihnen durch fremde Kontakte oder Stammeskriege zerstört worden. Heute jedoch werden sie nicht nur als monumentale künstlerische Errungenschaften verehrt, sondern aufgrund ihrer schieren Größe und ihres Gewichts auch als unglaubliche körperliche und technische Meisterleistungen.
Dank ihrer überaus faszinierenden und geheimnisvollen Geschichte zieht die ozeanische Kunst heute viele Menschen in ihren Bann. Ihre Verbindung zu Kulturen, die direkt in den frühesten menschlichen Zivilisationen verwurzelt sind, macht dieses besondere Werk zu einem der kulturell und anthropologisch bedeutendsten der Welt. Angesichts des steigenden Interesses an nicht-westlicher Kunst auf dem Markt ist es wahrscheinlich, dass die ozeanische Kunst bei Sammlern und Liebhabern gleichermaßen stetig weiter an Bedeutung gewinnen wird.