Wessen Kunst ist das eigentlich?

geschrieben von Patrick Morgan

Momentan unternimmt die westliche Welt viele Anstrengungen, um ihre koloniale Vergangenheit wiedergutzumachen. Darüber ist ein Streit entbrannt, in dem es darum geht, wo viele Kunstwerke eigentlich wirklich hingehören. Die Rückführung von Kunstwerken ist ein heikles Thema. Da die während des Kolonialismus oder des Krieges geplünderten Objekte dorthin zurückgegeben werden sollten, wo sie hingehören, scheint die Angelegenheit immer noch unklar zu sein. Erfahren Sie in diesem Artikel mehr über den Prozess der Rückführung von Kunst und Antiquitäten in ihre Herkunftsländer und den Einfluss dieses Prozesses auf den Kunstmarkt.

Messinggedenktafeln aus Benin, die im Britischen Museum in London ausgestellt sind. Bild: Archie / Lincense: CC BY 2.0

Die Provenienz von Kunst

Können wir davon ausgehen, dass wichtige ethnografische und kulturelle Schätze in den kommenden Jahren noch in privater Hand verbleiben werden, nachdem die Initiativen zur Rückführung von Kulturgütern aus verschiedenen Ländern in den letzten zehn Jahren bereits so an Fahrt aufgenommen haben? Und haben öffentliche und private Museen noch die Berechtigung, ihre Sammlungen zu behalten, wenn die Herkunftsländer der Künstler die Rückgabe wichtiger Meisterwerke fordern? Ist es ihre Pflicht, jedes Stück zu untersuchen?

Das ethische Dilemma dreht sich um die Erwerbsgeschichte jedes einzelnen Objekts in einer Museumssammlung. Wie wurde das Stück ursprünglich an Ort und Stelle erworben? Und unter welchen Umständen?  Einige dieser Antworten werden wir nie erfahren, aber in anderen Fällen sind die Erwerbsgeschichten in den Annalen der Kolonialgeschichte gut dokumentiert.

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Die Grundlagen des Handels - Tauschgeschäfte

Tauschgeschäfte gibt es immer, wenn zwei weit voneinander entfernte Kulturen aufeinandertreffen. Jede Gruppe möchte im Wesentlichen immer genau das haben, was die andere hat, sei es etwas Seltenes, Erstaunliches, Ungewöhnliches oder einfach Nützliches. Viele wichtige Kunstwerke und bedeutende Anschaffungen wurden seit Anbeginn der Zeit auf diese Weise getätigt, mit fairen und angemessenen Ergebnissen. 

Es ist allgemein bekannt, dass die amerikanischen Ureinwohner die Insel Manhattan an die Niederländer für venezianische Glasperlen im Wert von 24 USD tauschten. Die Ureinwohner waren damals sogar der Meinung, dass sie bei dem Deal das bessere Geschäft gemacht hatten, denn sie glaubten nicht, dass der Mensch, Land überhaupt "besitzen" könne, da es doch ein Geschenk der Natur war und das Land somit allen gehörte. Kapitän James Cook versorgte seine Besatzung auf Hawaii, indem er Metallschrott gegen Fisch, Wasser und andere notwendige Dinge eintauschte. Seine eine Mannschaft tauschte außerdem Eisennägel gegen Sex.

Handelsperlen, Perlen für Tauschgeschäfte

Perlen für Tauschgeschäfte, um 1740, gefunden in einem Dorf der Wichita im heutigen Oklahoma. Bild: Uyvsdi / License: CC BY-SA 3.0

Der Wert von Kunst und Kulturerbe

Werte waren schon immer relativ, und das gilt besonders für Kulturschätze. Alle Märkte werden durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Der Kunstmarkt ist da nicht anders, aber er wird auch von Schönheit und Emotionen bestimmt. Und Schönheit hat keinen Preis, aber ist der ultimative Richter.

Sollte die Mona Lisa, das berühmte Gemälde von Leonardo Da Vinci und das Herzstück des Louvre in Frankreich, etwa an Italien zurückgegeben werden? Sollten die Elgin Marbles, die sich im Britischen Museum befinden, an Griechenland zurückgegeben werden? Oder sollten die Benin-Bronzen, die während einer gut dokumentierten, kolonialen Belagerung im Jahr 1897 aus dem brennenden Oba-Palast entwendet wurden, an Nigeria zurückgegeben werden? Ethisch gesehen muss immer alles von der Geschichte und den Umständen abhängen, unter denen das betreffende Stück erworben wurde.

Königlicher Palast des Oba von Benin

Königspalast des Oba in Benin. Er ist bekannt als Wohnsitz des Oba von Benin und anderer Könige. Der von Oba Ewedo (1255 - 1280) erbaute Palast befindet sich im Herzen der alten Stadt Benin. Er wurde von Oba Eweka II (1914-1932) wieder aufgebaut, nachdem er 1897 im Krieg mit den Briten zerstört worden war. Der Palast wurde 1999 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Im Königspalast des Oba von Benin wird die reiche Kultur Benins gefeiert und bewahrt. Die meisten Besucher des Palastes sind Kuratoren, Archäologen, Historiker und Fotografen. Bild: Kelechukwu Ajoku / License: CC BY-SA 4.0

Welterbe-Konvention

Im Jahr 1954 wurde das Übereinkommen zum Schutz von Kulturgütern, besser bekannt als Haager Konvention von 1954, als Antwort auf genau dieses Problem verfasst. Es war der erste und umfassendste multilaterale Vertrag, der ausschließlich dem Schutz des weltweiten Kulturerbes gewidmet war. Im Jahr 1972 wurde der Vertrag auf gefährdete Tiere und natürliche Lebensräume ausgeweitet und ist nun als Welterbe-Konvention von 1972 bekannt. Diese beiden bahnbrechenden Abkommen wurden zum Schutz indigener Völker, Lebensräume und Tiere verfasst, während gleichzeitig Einzelpersonen und Institutionen für ihre Handlungen und Sammlungen zur Verantwortung gezogen wurden. Und jetzt, mit dem Aufkommen der "Woke Culture" (der Begriff „Woke“ steht für eine wachsende Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierung und soziale, strukturelle und/oder politische Missstände), sind diese Themen in den Vordergrund unserer sich ständig weiterentwickelnden Gesellschaft gerückt.

„Sollte die Mona Lisa, das berühmte Gemälde von Leonardo Da Vinci, das das Herzstück des Louvre-Museums in Frankreich ist, an Italien zurückgegeben werden? Sollten die Elgin Marbles, die sich im Britischen Museum befinden, an Griechenland zurückgegeben werden? Oder sollten die Benin-Bronzen, die während einer gut dokumentierten, kolonialen Belagerung im Jahr 1897 aus dem brennenden Oba-Palast entwendet wurden, an Nigeria zurückgegeben werden? Ethisch gesehen muss immer alles von der Geschichte und den Umständen abhängen, unter denen das betreffende Stück erworben wurde.“

Repatriierte Kunst

Im Jahr 2013 gab das Metropolitan Museum of Art in New York zwei bedeutende kambodschanische kniende Dienerfiguren aus dem 10. Jahrhundert zurück, die in den späten 1970er Jahren aus dem Koh-Ker-Tempel geraubt worden waren. Dies geschah nachdem festgestellt wurde, dass sie illegal von Douglas A. J. Latchford, einem bekannten Experten für kambodschanische Antiquitäten, erworben worden waren. Vor seinem Tod wurde er beschuldigt, zwischen Mitte der 1960er und Anfang der 1990er Jahre mit gestohlenen Antiquitäten aus Kambodscha im Wert von Millionen von Dollar gehandelt zu haben. Nach seinem Tod im Jahr 2020 entschloss sich seine Familie, ihre persönlichen Sammlungen kambodschanischer Kunstgegenstände (im Wert von über 50 Mio. USD) als Zeichen des guten Willens an das kambodschanische Volk zurückzugeben. Diese Objekte werden nun das Herzstück eines neuen Museums in Phnom Penh bilden, das der Tempelkunst gewidmet sein wird.

Vishnu reitet auf Garuda, zwischen zwei monstösen Köpfen, Kambodscha, Angkor

Türsturz. Kambodscha, Prasat Kok Po A (Angkor), Siem Reap Provinz, Preah Ko Stil, spätes 9. Jahrhundert, Sandstein. Vishnu reitet auf Garuda, zwischen zwei monströsen Köpfen. Bild: Vassil/ License: Public Domain

Die Kunst dorthin zurückbringen, wo sie hingehört

Derzeit wird an mehreren Lösungen gearbeitet, um wichtige kulturelle Artefakte als Zeichen der Wiedergutmachung an die Ursprungsvölker zurückzugeben. Dieses Dilemma hat jedoch noch einen anderen Aspekt. So wird nämlich argumentiert, dass viele dieser seltenen und wichtigen kulturellen Artefakte, die unter unsicheren Umständen und in einigen Fällen schon vor über hundert Jahren gesammelt wurden, für künftige Generationen nur bewahrt werden konnten, indem sie in den sicheren Schoß der Museen gebracht wurden. Wären diese Objekte an ihrem Ursprungsort verblieben, wären viele, wenn nicht sogar die meisten dieser Objekte durch Brände, Überschwemmungen oder die Alterungseffekte der Zeit und durch Immission zerstört worden. Und gerade diese Objekte von bedeutender und verehrungswürdiger Schönheit wurden von diesen Museen aufgewertet, indem sie ihnen einen wichtigen Platz einräumten, an dem Menschen auf der ganzen Welt die Schönheit von kultureller Kunst und Artefakten sehen und entdecken können. Diese in bedeutenden Museen auf der ganzen Welt ausgestellten Objekte haben wiederum die Aufmerksamkeit ernsthafter Kunstsammler auf sich gezogen und einige der einflussreichsten künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts inspiriert. Jahrhunderts inspiriert. Indem diese Objekte aus ihren Herkunftsländern entfernt wurden, sind sie ins Rampenlicht ihrer Bedeutung gerückt und haben die Welt über die Wunder der kulturellen Vielfalt und Schönheit aufgeklärt.

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Die linke Figurengruppe des Ostgiebels des Parthenon, die als Teil der Elgin Marbles im British Museum ausgestellt ist

Die linke Figurengruppe des Ostgiebels des Parthenon, die als Teil der Elgin Marbles im British Museum ausgestellt ist. Bild: Andrew Dunn / License: CC BY-SA 2.0

Nachfrage nach Stammeskunst

Das oben genannte Dilemma hat die Nachfrage nach seltener und schöner Stammeskunst, sogenannter Tribal Art, auf dem Markt angeheizt und ist direkt für den dramatischen Wertanstieg der letzten Jahre verantwortlich.

Am 24. Dezember 2020 gab das Musée Quai Branly 26 Fon-Artefakte, die 1892 aus dem Königreich Abomey gestohlen worden waren, unter großem Tamtam an das nigerianische Volk zurück. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte mit dieser Veranstaltung die Bemühungen um wiederherstellende Gerechtigkeit in den Vordergrund gestellt. Tatsächlich hat das Musée Quai Branly mehr als 70 000 Objekte in seinen Sammlungen, so dass die Rückgabe von nur 26 Objekten eher unbedeutend ist. Statistisch gesehen stellen die meisten Museen nur 5 % ihrer Bestände aus, was bedeutet, dass die internationalen Forscher noch einen langen Weg vor sich haben, um die ethischen Aspekte der Erwerbsgeschichte ihrer Sammlungen zu ermitteln.

Blick in die afrikanische Ausstellungshalle im Musée du Quai Branly, Paris, Frankreich

Blick in die afrikanische Ausstellungshalle im Musée du Quai Branly, Paris, Frankreich. Bild: Andreas Praefcke/ License: Public Domain

Das neu errichtete Humboldt-Forum in Berlin, Deutschlands größtes ethnologisches Museum, hat angekündigt, dass alle 440 Benin-Bronzen aus seinen Sammlungen in den nächsten Jahren an das nigerianische Volk zurückgegeben werden sollen. Es handelt sich dabei um gut dokumentierte Kunstwerke, die während der Strafbelagerung des Palastes und des Königreichs Oba in Nigeria im Jahr 1897 durch britische Truppen unter der Führung von Admiral Sir Harry Rawson geplündert wurden. 

Afrikanische Ausstellung im Humboldt Forum in Berlin, Deutschland

Afrikanische Ausstellung im Humboldt Forum in Berlin, Deutschland. Bild: jwyg / License: CC BY-SA 2.0

Die Eröffnungsausstellung des Humboldt-Forums im September 2021 stellte sich mutig den Fragen der Kolonialgeschichte und ihren ethischen Dilemmas., Über 20.000 Objekte wurden hier gezeigt, von denen viele während der Jahre der kolonialen Expansion gewaltsam entwendet wurden. Jedes Objekt war mit einer ausführlichen Beschreibung versehen, die sowohl die kulturellen Bedeutungen als auch die manchmal gewaltsamen Umstände, unter denen es erworben wurde, erklärte. In Deutschland gibt es weitere 25 Museen, die geraubte Objekte aus Benin in ihren Sammlungen haben, und alle 25 Museen haben sich bereit erklärt, diese Bestände in den nächsten Jahren an die nigerianische Bevölkerung zurückzugeben.

„Es wird Jahrzehnte dauern, um das historische Unrecht zu korrigieren, das durch die kolonialen Expansionen begangen wurde, und die Einschränkung des Handels sowie die Rückgabe dieser Kulturschätze an ihre rechtmäßige Heimat sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.“

Rückgabe der geraubten Benin-Bronzen durch die britische Regierung

Die Artefakte, darunter ein bronzener Hahn und eine Büste, die vor über 125 Jahren von den britischen Streitkräften aus Nigeria geraubt wurden, stehen am 19. Februar 2022, nach der Rückgabe durch die britische Regierung, auf einem Tisch im Palast des Oba von Benin in Benin-City im mittleren Westen Nigerias. Fotografie von Kola Sulaimon / AFP via Getty Images

Widersprüche

Ironischerweise wurde ebenfalls im Jahr 2021 ein Weltrekordpreis von 10.000.000 Pfund (ca. 11,7 Millionen Euro) für eine Benin-Bronze gezahlt, die von einem bekannten Händler für Stammeskunst vermittelt wurde. Der umstrittene Benin-Bronzekopf aus dem 16. Jahrhundert war in den letzten 63 Jahren in einem Banktresor eingeschlossen gewesen und wurde zuletzt 1951 von dem bekannten Stammeskunsthändler Ernst Ohly in einem kleinen Londoner Auktionshaus für ein paar hundert Pfund erworben. Das Stück wurde in "Ohly"-Bronze "umbenannt" und befindet sich derzeit in einer Privatsammlung. Der Verkauf eines Kulturguts, das nachweislich vor über 100 Jahren geplündert wurde, ist offenbar kein Verbrechen. Ganz zu schweigen von der Arroganz der kulturellen Gutheißung ein wichtiges Kulturgut nach dem Sammler umzubenennen, der es vor vielen Jahren erworben hat. In der Tat haben wir was die Wiedergutmachung angeht, noch einen langen Weg vor uns. Es wird Jahrzehnte dauern, um das historische Unrecht zu korrigieren, das durch die kolonialen Expansionen begangen wurde, und die Einschränkung des Handels sowie die Rückgabe dieser Kulturschätze an ihre rechtmäßige Heimat sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Benin-Bronzekopf aus dem Bode-Museum in Berlin, Deutschland

Benin-Bronzekopf aus dem Bode-Museum in Berlin, Deutschland. Bild: Francisco Anzola / License: CC BY-SA 2.0

Wissen, was man kauft

In der heutigen Zeit ist es für alle Sammler wichtig, ihre Sammlungen und potenzielle Ankäufe gründlich zu prüfen. Die rechtlichen Folgen des Kaufs von Raubkunst und/oder Objekten aus Materialen wie Elefantenelfenbein, Adlerfedern oder Nashornhorn – die alle von bedrohten Tierarten stammen – können von der Einziehung des Objekts bis zur Strafverfolgung reichen.

Die Überprüfung der Herkunft über Online-Websites wie Arkhade, einem Abonnementdienst, der Auktionsverkäufe von Stammeskunst bis in die 1960er Jahre zurückverfolgt, oder das African Heritage Documentation & Research Center, das von Guy van Rijn für die Yale University gegründet wurde und Tausende von dokumentierten Objekten in seiner Datenbank hat, sowie der Aufbau einer Sammlung von Auktionskatalogen und anderen historischen Stammespublikationen, können dazu beitragen, die Besitzverhältnisse verschiedener Objekte zu überprüfen. Auch die Sorgfaltspflicht, den rechtlichen Status der Materialien, aus denen verschiedene Objekte hergestellt wurden, zu überprüfen, gehören zu den wichtigen Aufgaben, die heutige Sammler auf sich nehmen sollten.

Abschließend müssen wir uns fragen: Wie lange wird der private Verkauf oder die Versteigerung von wichtigen und unschätzbaren Kulturschätzen noch möglich sein?

Lassen Sie hier Ihre Kunstwerke der Stammeskunst schätzen!

Patrick Morgan ist Händler und Experte für Stammeskunst und lebt seit 2002 in Paris. Er begann seine Karriere in den späten 1980er Jahren mit dem Sammeln von Textilien und Stammeskunst im Goldenen Dreieck von Thailand, Laos und Burma. 1992 unternahm er mehrere Reisen pro Jahr, ausschließlich nach Mali, um Textilien und rituelle Kunst der Dogon-, Senufo- und Bambara-Kulturen zu erwerben. Seit 1998 stellt er diese Funde zusätzlich zu Stücken aus bedeutenden amerikanischen Sammlungen auf den großen US-Messen für Tribal Art in San Francisco, Santa Fe und New York sowie auf den europäischen Messen in Paris und Berlin aus. Er hat für mehrere europäische Auktionshäuser als Berater und Experte gearbeitet.

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